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Mittwoch, 1. September 2010

Lautern, Mormonen und ein halbvolles Glas Wasser

Noch 9 Tage. Hallo Blogbuch.

Blogbuch: 9 Tage??? Es sind doch nur noch 7?
Ich: Stimmt. Aber bis zum Wurtsmarkt sind’s noch 9. Der Mob rast. Der Festplatz ist fast fertig.
Blogbuch: So? Und ich dachte schon Du wärst dort versumpft. Wo warst’n Du solange?
Ich: Weil.hier.nix.mehr.passiert. Deswegen.Basta. Aber ich erzähl noch so’n paar Kleinigkeiten. Fangen wir beim letzten Freitag an. Zwei Highlights. Mein „Anti-Apnöe“ Gerät ist geliefert worden. Freundlicher Herr. So eine lächerliche Maske muss einmal jährlich via Rezept bestellt werden. „Kann man die nicht einfach selbst kaufen?“ frage ich, um nicht jedesmal einen Arzt zu suchen, der sich zur Rezeptur überreden lassen muss. „Selbst? Neee. Kostet zwischen 250 und 300 Euros so’n Teil!!!“. Mal ehrlich: dieser Schlauch samt Maske kann nicht mehr wert sein als maximal 50 Penunzen. Euro-Penunzen. Da wundert es einen nicht, dass die Kosten in unserem Gesundheitssystem ausufern.

Abends dann Fussball: Karl (DDR Ureinwohner und Fan von Rot Weiss Erfurt) ist enorm sympathisch, pflegeleicht und einer der wenigen Patienten, die nach der Kur wieder arbeiten wollen. Kein Gedanke an Frührente. „Nö, nö, nö. Ich will bis zur Rönte orbeiten. Ich gö görn was tun.“ Er fährt am 1.September und hat abgesehen von einem kleinen Einkauf in der Innenstadt das Klinikgelände in den rund 5 Wochen nicht verlassen. So ist das, wenn man 35 Jahre in der DDR gelebt hat. Er kennt’s nicht anders. Ich habe leider erst zu spät Kontakt zu ihm aufgenommen. Abends dann in der Cocktailbar: wer es (noch) kennt: der Raum ist etwa doppelt so gross wie die obere Etage in der Hesselbacher Mühle. Proppevoll. „Wieviel Gäste sind denn heut Abend hier?“ frage ich den Wirt. „Noo, so um die hundertvierzisch, hundertfuffzisch.“ antwortet er. Der Raum ist ausgestattet mit einer Grossbildleinwand und 4 (!) grossen Flachbildschirmen. Nicht sehen können unmöglich. Stark. Alle in Rot. Auch eine Frau im Bayern Trikot. Arme Sau. Die „Luft“ wird zum Luxusgut hier und das Spiel plätschert ; der Alkohol auch. Die Stimmung ist gigantisch. Ob ein gelungener Pass oder ein Einwurf für die Fritz-Walter Elf: alles wird frenetisch gefeiert. 36. Minute: 1 – 0 Lautern. Das Dach fliegt weg. Die Stimmung explodiert. Ich hab‘ nur noch ein Pfeifen im Ohr. „Dös überrascht mich jetz‘“ sagt Karl. 66 Sekunden später: das Dach war gerade wieder unten da fliegt es schon wieder weg. Zwei Null. Ein besoffener Pfälzer im Lautern Trikot umarmt mich und brüllt mir irgendwas ins Ohr. Egal. Ich versteh immer noch nichts. Das Pfeifen in meinem Ohr. Der Rest ist Party. Ein Schwenk in die Lautern Kurve und der ganze Saal jubelt. In der 75. wird bei Bayern der Gomez eingewechselt. „JETZT HABEN SIE AUFGEGEBEN“ frohlockt ein FCK Fan. Alles lacht. Die letzten Minuten im Rausch. Eine halbe Stunde nach Ende bezahlen Karl und ich. 1 Liter Bier pro Nase und nen Kaffe haben wir uns gegönnt. Um 23 Uhr wird die Pforte im Klinkum geschlossen. Wir sind um 5 vor 11 dort. Puh.

Am Wochenende dann hoher Besuch aus der Heimat. Und Martin. :-) Eine schöne Abwechslung und buntes Kindertreiben. Ich bin beruhigt. Der Rentnerpark gefällt auch meinen Gästen. Ich ticke also doch noch richtig. Sogar 3 Eisballen habe ich mir gegönnt. Sonntag dann noch ein kleiner Trab zur Michaelskappelle mit den 4 grossen und 3 kleinen Bergneustädtern. Danach Verabschiedung. In der Klinik treffe ich auf Klaus. Lautern Fan und Dauerkarteninhaber in der Kurve. Er ist immer noch vollgedröhnt und läuft vor Freude über; als ob er die 2 Nächte in der Kurve geschlafen hätte. Samstag Abend „Willkommen bei den Schti’s“ im Klinikkino gesehen. Schon lange nicht mehr so gelacht. Grossartige Komödie. Sonntag Nachmittag gehe ich mit Anna aus Wuppertal zur Schäferwarte. Sie ist, genau wie Karl, in ‚ihren‘ 5 Wochen nicht vom Klinikgelände runter gewesen und wollte doch zu gerne mal zur Schäferwarte. Ich zeig ihr den Weg. Sie schnauft und pausiert ständig. Was ja OK wäre, wenn sie, wieder unter dem Atmenden, die Luft nicht zum Dauermonolog verwursten würde. Ich zeige ihr den Römersteinbruch, die Warte, Teile des keltischen Ringwalls. ZEIGE! Sagen kann ich dazu nix. Das tut sie.

Montag hat’s dann gerummst. Marius ist in der „sozialen Kompetenz Trainingsgruppe“ ausgetickt und mit Drill Instructor Weber aneinander geraten. Beim anschliessenden Mittagessen beschwert er sich lauthals u.a. mit den Worten „was bildet sich dieser Mann mit seiner lächerlichen Ausbildung eigentlich ein über mich zu urteilen“. Marius lässt sich per se nichts sagen. Ich erkläre ihm, dass Herr Weber gelernter Krankenpfleger mit einer Zusatzausbildung und das es nicht lächerlich ist. „Das ist alles? Das ist nix. Das ist eine scheiss Ausbildung. Das machen verzweifelte Hauptschüler ohne Perspektive!“ „Immer noch besser als studiert und seit 2 Jahre arbeitslos!“ ranze ich ihn an. Marius kippt mir sein etwa halbvolles Glas Wasser ins Gesicht und verlässt den Raum. Zuerst bin ich etwas erschrocken über mich selbst, finde dann aber später im Schwimmbad meinen inneren Frieden. Marlene, 56 aus Pirmasens, sagt mir dort, dass das gut und richtig war. Seine unreflektierte Art ginge ihr schon länger gegen den Strich. Abends steht Marius dann auf der Matte weil ihn seine Wandergruppe hat stehen lassen und er brauche jemanden zum Reden.

Dienstag dann der Break: PUNKTLANDUNG!!! Auf den Gramm genau sind es jetzt 20 Kilo weniger. Spring.Pfeif.Sing. Tirili-Tirilo. Ich fühle mich wie Elli, das Mammutweibchen aus Ice Age das meint, es wäre es ein Opossum. Beinahe federleicht. Hihihi. Danach die Miteilung: ich soll in die Problemlösungsgruppe. „Wieso Herr Weber? Ich fühl mich ganz wohl in der Psyhosomatikgruppe!“ sag ich, da diese damit Vergangenheit ist. „Als Gegengewicht zu Herr „Marius“!“ Na super. Besten Dank auch.


(links: ich, der den ELefanten von Anfangs hebt)

Abends dann die ersten Abschiede. Karl ist morgen früh um halb sieben fort, weil er den Zug sonst nicht kriegt. Wir verabschieden uns und wünschen unseren Vereinen das Beste, Gegen Erfurt habe ich ab heute nichts. Anni fährt auch morgen, aber wir sehen uns noch beim Frühstück. Julia, die fränkische Urgwalt, wünscht sich mit uns noch einen Abend bei einem Winzer. Machen wir. Anton (vormals Drecksack) wird nicht eingeladen, weil die Damen in der Runde seiner Anmache überdrüssig sind. Der Abend ist schön und kurzweilig. Julia fängt zu Weinen an, weil sie nicht nach Hause möchte. Sie hat keine Lust dahin. Macht einen nachdenklich. Mittwoch, quasi heute, der 1. September: Volles Programm: von Anna verabschieden. Sie möchte unbedingt meine Adresse, damit ihre Familie sich mit meiner mal treffen kann. ICH WILL NICHT, DASS MEINE TOCHTER MIT WALDORFKINDERN SPIELT!! Nun gut. Austausch erfolgt. Bis bald. Sie gehören zu den Mormonen und sind dort sehr aktiv. Das finde ich interessant. Bin gespannt (sieh Blog vom 23.August, das Interview). Verabschiedung von Julia, von Miriam und David, dem 28-jährigen Womanizer der während seiner 8 Wochen hier 3 Mädels verschlissen hat. Danach den Blog angefangen, ein „Patenkind“ angenommen (eine etwa 1,60 m hagere Frau; wir werden bei der Rundführung die wir auf 14 Uhr festgelegt haben, wie Pat und Pattachon aussehen); schliesslich kommt der Herr mit der neuen Schlafmaske. Hoffe, dass ich jetzt endlich besser schlafen kann.

Und sonst: sämtliche Termine werden jetzt rückwärts gezählt, heute Abend gibt’s „Alice im Wunderland“ in der Johnny Depp Verfilmung, heut Nachmittag stehen Walken, Ergometer und Patenkind-Rundführung auf dem Programm. Die Stimmung schwimmt momentan Richtung „Moll“, in den letzten Tagen habe ich öfter eine Enigma CD „Greatest Hits“ laufen lassen. Auf geht’s zum Nordic-Walking. Dankenswerterweise hat Petra diesen Blog eingestellt, weil sich
das Schlepp-Top verabschiedet hat. Es macht nix mehr- nada- rien-nothing.
Falls ich nichts mehr schreiben werde: am kommenden Mittwoch um 11 Uhr ist hier der Drops für mich gelutscht. Diktiert um 22.45 Uhr, Stefan; nach Diktat aufgelegt